Psalmlieder

Lieder des Umbruchs im 16. Jhd.: Zitate

"Ein feste Burg ist unser Gott"

Das 16. Jahrhundert ist in vielerlei Weise eine Zeit des Umbruchs. Um 1500 steht Europa an der Schwelle zwischen Mittelalter (500-1500) und Neuzeit (ab 1500). Das Ende des Mittelalters kündigt sich in Wissenschaft und Weltbild sowie in Kunst und Theologie an. Die Renaissance (1400-1600), die Europa von Italien aus erfassent, vereint (wiedergeborene) Stoffe und Ästhetik der Antike mit zeitnahen Ausdrucksmitteln. Die uneingeschränkte Herrschaft der etablierten Kirche wird gebrochen. Die Reformatoren gehen, gestützt auf die Bibel, neu-alte Wege – sich den lange verwischen Spuren der Apostel Christi annähernd. Vieles war mittlerweile dogmatisiert worden, wovon die Apostel nichts gelehrt hatten und was den biblischen Vorgaben widersprach. Manches wurde reformiert (lat. reformare = verbessern i.S. von zurück-gestalten). Auch der Kirchengesang. Zwar gedieh das protestantische Liedgut anfänglich nicht ganz ohne Rückgriff auf die kirchentonartlich gestimmte Gregorianik, doch benutzte es zunehmend die sich im 16. Jh. festigende Dur-Moll-Tonalität. Das Pendeln zwischen den beiden Tonalitätssystemen ist – typisch für die Zeit des Umbruchs bzw. Übergangs – sowohl im Genfer Psalter als auch in den Psalmliedern Luthers feststellbar.

Vordringliches Ansinnen Luthers und Calvins war, geistliche Lieder liturgisch konstitutiv werden zu lassen - als Kirchenlieder im wahren Sinn des Wortes. Um das definitiv zu belegen, greife ich bewusst auf Wikipedia-Ausführungen zurück; sie repräsentieren wissenschaftlichen Literaturbefund und sind leicht nachvollziehbar:

„Ein geistliches Lied ist ein Lied mit christlich-religiösem Inhalt.

Als durch die Gemeinde gesungenes
Kirchenlied ist das geistliche Lied in den meisten christlichen Konfessionen ein fester Bestandteil des Gottesdienstes. Das gemeinsame Singen ist in vielen Liturgien die Antwort der Gemeinde auf Predigt oder Gebet, ist selbst Gebet und Dank, dient der Pflege der Gemeinschaft, aber vor allem der Verinnerlichung der Glaubensinhalte ... Ab der Reformationszeit wurden die im Gottesdienst verwendeten Lieder thematisch zunehmend dem Verlauf der Liturgie angepasst. Im Volksgesang des katholischen Gottesdienstes entwickelte sich ab dem 18. Jahrhundert das Messlied ...“ [1]

Hier wird angedeutet, dass es auch im katholischen Rahmen bereits vor dem 18. Jahrhundert „Volksgesang“ gab, zunächst jedoch außerhalb der Mess-Liturgie:

„Seit dem Mittelalter gibt es in der Katholischen Kirche Bücher mit liturgischen Gesängen wie Graduale und Antiphonale. Sie enthalten lateinische Gesänge des Gregorianischen Chorals und sind in der Regel nicht für den Gemeindegesang, sondern für den Chor oder die Choralschola bestimmt ...

Angestoßen von der Breitenwirkung der volkssprachlichen Lieder und Gesänge der Reformation, entstanden auch in der katholischen Kirche deutschsprachige Lieder und Liedersammlungen. Michael Vehe gab 1537 das erste katholische Gemeindegesangbuch heraus, das teilweise Überarbeitungen von Liedern Luthers enthielt. Umfangreicher und von der Rezeption her bedeutender war das 1567 erschienene Gesangbuch ‚Geistliche Lieder und Psalmen der Alten Apostolischer recht und warglaubiger Christlicher Kirchen’ des Bautzener Domdekans Johann Leisentrit ...

Obwohl das Konzil von Trient (1545-1563) an der lateinischen Liturgiesprache verbindlich festhielt, wurden deutsche Kirchenlieder als Begleitung des Gottesdienstes üblich. Im Zuge der Gegenreformation gaben vor allem die Jesuiten zur Glaubensunterweisung zahlreiche Gesangbücher heraus.“
[2a]

Es waren die Erfolge der Reformation und mit ihr die Beliebtheit der neuen Lieder in der Volkssprache – beides gehört untrennbar zusammen –, die zum Einlenken der katholischen Seite geführt haben. Somit wurde das neue deutschsprachige Liedgut im Lande der Reformation praktisch gegenreformatorisch benutzt. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang sein, einen Blick auf die ökumenischen Lieder zu werfen, die seit dem Zweiten Vaticanischen Konzil (1962-65) in reichem Maße entstanden:

„Die Zahl der gemeinsamen (ökumenischen) Lieder steigt von Gesangbuch-Neuausgabe zu -Neuausgabe. Verantwortlich dafür ist die Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut (AÖL) im Auftrag der christlichen Kirchen des deutschen Sprachbereichs. Sie gab 1972 unter Beteiligung der römisch-katholischen Bischofskonferenzen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und Luxemburg, der evangelischen Kirche in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der Altkatholischen Kirche und mehrerer Freikirchen erstmals 102 Lieder unter dem Titel ‚Gemeinsame Kirchenlieder. Gesänge der deutschsprachigen Christenheit’ heraus. Die Liste wird seitdem fortgeschrieben.“ [2b]

Mit Fug und Recht darf also angenommen werden, dass Lieder im Hinblick auf einen weiteren Umbruch, nämlich hin zur künftigen Kircheneinheit, einen funktionellen Beitrag leisten sollen; denn eine solche Einigung wäre ohne entsprechendes Liedgut so wenig denkbar wie die am Beginn des Mittelalters zur Festigung der zentralistischen Kirche dienende Gregorianik oder die bibelgegründete und volksnahe Neuorientierung der Reformation. Dazu seien die folgenden Zitate angebracht, die manches in dieser Website gesagte untermauern, so auch die bevorzugte Rolle von Psalmliedern.

„Unter den Reformatoren maß vor allem Martin Luther dem volkssprachlichen Kirchenlied eine hohe Bedeutung zu. Er zielte dabei auf verschiedene Wirkungen des gemeinsamen Singens von Kirchenliedern in volksnaher Sprache ab: Als missionarische Wirkung förderte das Kirchlied die Ausbreitung biblischer Inhalte und reformatorischer Ideen. Katechetisch konnten Lieder unterrichtlich wirken und spezielle theologische Themen wie Glaubensbekenntnis oder Sakramente behandeln.

Formuliert als ein Kirchenlied, das, auch unterstützt durch eine einprägsame Melodie, leicht auswendig gelernt werden konnte, ließ sich ein Inhalt leichter einprägen.

Gemeinsames Singen stellte Gemeinsamkeit dar und bildete Gemeinschaft.

Deutsche Lieder ermöglichten der bis dahin im Wesentlichen passiven Gemeinde eine aktive Beteiligung am Gottesdienst.

Die psychische Wirkung von Musik beschrieb Luther mit den Worten ‚Medizin gegen das Böse und Labsal gegen Verdruss’.

Luther dichtete über 30 Kirchenlieder ...Viele dieser Lieder sind Wir-Lieder und stärken die frühe reformatorische Gemeinschaft ...

Bei neuen Melodien stand immer die Sanglichkeit im Vordergrund ... Neue Melodien entstanden meist in Zusammenarbeit mit Johann Walter. Luther bat aber auch andere Mitarbeiter um Unterstützung beim Schaffen neuer Kirchenlieder ...

Die Köpfe der Reformierten Kirche, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, lehnten alle Traditionen ab, die sie nicht in der Bibel begründet sahen. Anders als Luther standen sie der Kirchenmusik zunächst abweisend gegenüber. In der Liturgie hatte das Wort Vorrang ...

Johannes Calvin, der nach Zwinglis Tod die Führung der Reformierten Kirche übernahm, hatte in Straßburg den Gemeindegesang in Form von Psalmliedern kennengelernt. Er ließ Gemeindegesang wieder zu unter strengen musikalischen und textlichen Auflagen: Es durften nur Psalmtexte gesungen werden. Nachdichtungen hatten sich eng an die biblische Vorlagen anzulehnen.


Der Gesang musste einstimmig sein.

Die Melodien durften den Umfang einer Oktave nicht überschreiten. Melismen waren nicht zugelassen.

Für den Rhythmus waren nur zwei Grundwerte erlaubt (ein Schlag und zwei Schläge, Viertelnote und halbe Note in heutiger Notation). Rhythmische Beruhigungen an den Zeilenenden waren erwünscht.

Auf jede Verszeile musste eine Atempause folgen.

In diesen Rahmenbedingungen entstand eine Reihe von Psalmliedern, mit schlichter Melodik, die Sprünge meist vermeidet (Beispiel: Steh auf in deiner Macht o Gott). Das zentrale Gesangbuch der reformierten Kirche wurde der Genfer Psalter, dessen endgültige (französische) Ausgabe 1562 erschien. Nach Calvins Tod wurde die Vierstimmigkeit zugelassen, und mit den schlichten vierstimmigen Chorsätzen von Claude Goudimel erreichte der Genfer Psalter eine große Verbreitung in den reformierten Kirchen. In der württembergischen Reformation vertonte Sigmund Hemmel erstmals ca. 1560 den gesamten Psalter für vier Singstimmen in deutschen Psalmdichtungen verschiedener Autoren. Die Übersetzung von Ambrosius Lobwasser wurde bald für über zweihundert Jahre das maßgebliche Gesangbuch der reformierten Gemeinden in Deutschland.“
[3]

Ein Zitat von Stephan Goldschidt unterstreicht die Wichtigkeit der Psalmen und des Kirchenlieds im lutherisch-reformatorischen Kontext:

„Luther war aus seiner Zeit als Mönch das Singen der Psalmen vertraut. Wir dürfen zu Recht vermuten, dass ihm dieses Singen vielfach geholfen hat, seine Anfechtungen zu überwinden, die ihn während seiner Klosterzeit immer wieder heimsuchten. Darum werden ihm die Psalmen so besonders am Herzen gelegen haben. In seine frühe Zeit als Professor für Bibelwissenschaften fallen zwei ausführliche Vorlesungszyklen mit der Auslegung der Psalmen – die für Luther immer Lieder waren.

Ein wichtiger Meilenstein für das reformatorische Verständnis von Musik ist die Entdeckung des Kirchenliedes. Es ist auch unter kirchenmusikalisch Interessierten häufig nicht bekannt, dass es der Reformator selbst war, der als Entdecker des Kirchenliedes bezeichnet werden kann. Luther ist der erste bedeutende Dichter und Komponist von Kirchenliedern. Für Luther waren die Kirchenlieder gesungenes Evangelium, Muttersprache des Glaubens. Vermutlich hätte die Reformation ohne ihre Lieder einen ganz anderen Verlauf genommen.“
[4]

Quellen und weiterführende Literatur

[1] Wikipedia: Geistliches Lied.
[2a] und [2b] Wikipedia: Gesangbuch.
[3] Wikipedia: Geschichte des geistlichen Liedes auf dem europäischen Kontinent.
[4] Stephan Goldschmidt: Reformation und Musik – Musik der Reformation. Unter: http://www.epid.de/musikalisches/fachartikel/2012/reformation-und-musik?start=2