Psalmlieder

Martin Luther

Martin Luther und die Psalmlieder

Das "Achtliederbuch"

Das nebenstehende Faksimile des Titelblatts vom sogenannten "Achtliederbuch" lässt die einleitenden Worte "Etlich Cristlich lider Lobgesang und Psalmen ... " erkennen, was auf die bescheidene Anzahl hinweist. "Etlich" bedeutet soviel wie "einige". Unter den acht Liedern waren drei Psalmlieder von Luther, nämlich "Ach got vo hymel syhe dareyn" (Psalm 12), "Es spricht der unweysen mund wol" (Psalm 14) und "Aus tieffer not schrey ich zu dir" (Psalm 130).

Die Tradition des Psalmengesangs wird unter anderem mit der lutherischen Reformation in neuer, deutschsprachig-volksnaher Form fortgesetzt. Das ist insofern bemerkenswert, als Luther zwar die Reformation entfacht hatte, aber zunächst kein geeignetes Liedgut vorhanden war. Mit Recht hat er dieses Manko als Notstand empfunden. Er brachte das im Vorwort des ersten Gesangbüchleins der Reformation zum Ausdruck, das 1524 auf sein Betreiben durch Johann Walter in Wittenberg herausgegeben wurde:

„... dass wir viele deutsche Gesänge hätten, die das Volk unter der Messe singe. Aber es fehlt an deutschen Poeten und Musicis, die christliche und geistliche Gesänge ... machen könnten, die es wert wären, dass man sie täglich in den Kirchen Gottes gebrauchen könnte. Man findet ihrer nicht viele, die einen Geschmack oder rechtschaffenen Geist hätten. Das sage ich deswegen, dass, wenn irgend deutsche Poeten wären, sie dadurch bewegt würden, uns geistliche Lieder zu machen.“ [1]

Offenbar ist Luther auch direkt an mögliche Dichter herangetreten. Das lässt sich beispielsweise einem 1523 an seinen Freund Georg Spalatin gerichteten Brief entnehmen:

„Ich bin willens, nach dem Beispiel der Propheten und alten Väter der Kirche, deutsche Psalmen für das Volk zu machen ... dass das Wort Gottes auch durch Gesang unter den Leuten bleibe. Wir suchen also überall Poeten. Da Ihr nun der deutschen Sprache so mächtig und beredt darinnen seid, so bitte ich Euch, dass Ihr eine Hand mit uns anlegt und einen von den Psalmen zu einem Gesang zu machen sucht, wie Ihr hier ein Muster von mir habt.“ [2]

"Ein feste Burg ist unser Gott"

Handschriftliches Notenblatt

Als solches war ein Blatt mit dem Lied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ beigefügt. Es wird als das zuerst entstandene von Luthers Psalmliedern angesehen. Dessen erste Fassung muss Ende 1523 vorgelegen haben. Es leitete das liedbezogen fruchtbarste Schaffensjahr des Reformators ein. Seine Beispielhaftigkeit kommt in dem Brief an Spalatin zum Ausdruck.

1524 ließ Luther fünf weitere Psalmlieder folgen. Davon zeitlich abgesetzt, schuf er 1527 die auf Psalm 46 gründende Reformations-Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“, die mit Fug und Recht auch als reformatorisches Kampflied bezeichnet werden kann. Dies nicht nur hinsichtlich seines Standfestigkeit ausdrückenden Melodie-Charakters, sondern auch der erwiesenen Funktion nach – während des reformatorischen Umbruchs.

Wenn Luther von „Liedern“ sprach, meinte er zunächst die Texte, also Gedichte mit Versfuß und Reim. Auch das war volksnah. Es gab zwar schon vorher Ansätze zu derartiger Lieddichtung – beispielsweise bei Johannes Tauler im 14. Jahrhundert und Heinrich von Laufenberg im 15. Jahrhundert [3] – aber es war der große Reformator Martin Luther, der dem deutschsprachigen Reformationslied von Psalminhalten her Klang und Rang verlieh, in Wort und Melodie.

Er war es, der deutschsprachige Bibelprosa als erster in Reim und Strophe fasste und den Kirchengesang konsequent vom formell gebundenen Psalmodieren zur melodisch offenen Hymnik führte; denn die rezitationstönig-litaneiartige Psalmodie wurde mit der alten Kirche assoziiert. Außerdem regte er andere an, in seinem Sinne schöpferisch tätig zu werden. Somit ist er der eigentliche Begründer der deutschen Psalmlied-Hymnik.

Kurzum, es waren Psalmlieder, die zunächst im Vordergrund lutherischen Musik-Bestrebens standen, gänzlich darauf zugeschnitten, in Mund und Sinn der Laien gelegt zu werden. Lieder waren mithin ein motivierendes Moment für die rasche Ausbreitung der Reformation. Und freilich gilt: Was das Aufgreifen von Psalmen anbelangt, lebte das lutherische Vorbild in anderen Dichtern und Musikern fort.

Martin Luther

nach Lukas Cranach d. A.

Bedenken wir etwa die von „Ein feste Burg ist unser Gott“ als dem ausgesprochenen Kampflied der Reformation ausgehende Kraft, so ist nicht verwunderlich, dass es Stimmen gibt, die besagen, dass der Gemeindegesang im Sinne Luthers mehr Menschen für die Reformation gewonnen habe als alles Predigen und Disputieren. Um für einen Moment über das Phänomen Psalmlied hinauszublicken: Ohne den Funkenschlag der entsprechenden Lieder hätte Luthers Reformation nicht so schnell und tiefgreifend zünden können. Durch die reformatorische Bewegung, die auch eine Singbewegung war, wurde der Gottesdienstgesang vom Klerus auf das Volk und vom Kirchenlatein in die deutsche Volkssprache übertragen. Das Volk hatte kaum Sinn für theologische Dispute, aber in der eigenen Sprache zu singen, das bewegte Herz und Verstand! Luther hatte dies als musikalisch gebildeter Erneuerer klar erkannt. Doch – von einem einzigen Protestlied gegen die Hinrichtung zweier Ordensbrüder in Holland abgesehen – waren für ihn aus Psalmen inspirierte Lieder vorrangig.

Quellen und weiterführende Literatur

[1] Jörg Erb: Dichter und Sänger des Kirchenliedes Band I, Lahr-Dinglingen 1970, S. 15f. Aus: Geistliches Wunderhorn – Große deutsche Kirchenlieder; in: Beck’sche Reihe. (2) Jörg Erb, wie oben; Näheres ist S. 7-15 zu entnehmen.
[2] Aus: Geistliches Wunderhorn – Große deutsche Kirchenlieder; in: Beck’sche Reihe.
[3] Jörg Erb, wie oben; Näheres ist S. 7-15 zu entnehmen.